Poesie am Steverwall – Stele 3
Thema 2023:
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Jage die Ängste fort
Und die Angst
vor den Ängsten.
Mascha Kaléko (1907–1975) Gedicht „Rezept“
(Die paar leuchtenden Jahre, 2003).
Mascha Kaléko wurde 1907 in Galizien (ehemals Österreich/Ungarn) in einer deutschsprachigen, jüdischen Familie geboren. Sie verstarb 1975 in Zürich. Um den Pogromen im 1. Weltkrieg zu entgehen, übersiedelte ihre Mutter mit den Kindern 1914 nach Frankfurt/Main. Hier und ab 1916 in Marburg, ab 1918 in Berlin erlebte Mascha ihre Kindheit und Schulzeit. Obwohl sie eine gute Schülerin war, wurde ihr ein Studium verwehrt. Sie lernte einen Verwaltungsberuf und besuchte Abendkurse an der Uni Berlin in Philosophie und Psychologie. 1928 heiratete sie den jüdischen Philologen Aaron Kaléko, dessen Namen sie behielt, auch nach einer Scheidung und Wiederverheiratung mit dem Musikwissenschaftler Vinaver.
In Berlin der späten 20er Jahre fand sie Kontakt zur literarischen Avantgarde um Else Lasker-Schüler und Joachim Ringelnatz sowie auch zum Kabarett. Dort trat sie auf mit heiter-melancholischen Texten zur Lebenswelt des einfachen Berliner Milieus. Ab 1929 veröffentlichte sie Gedichtsammlungen, die auch in bekannten Berliner Zeitungen publiziert wurden. 1935 erhielt sie von der Nazi-Diktatur Schreibverbot und ihre Arbeiten als „undeutsch“ geächtet.
1936 kam ihr Sohn Evjatan Alexander zur Welt, der auf tragische Weise bereits 1968 in den USA verstarb. Um der Verfolgung durch den NS-Staat zu entgehen, emigrierte die Familie im Jahr 1938 in die USA. Dort verblieb sie bis 1957 und übersiedelte dann ihres Ehemannes zuliebe nach Jerusalem. Dort blieb die Dichterin fremd, sprachlich und kulturell isoliert und enttäuscht. Nach dem Tode ihres Mannes 1973 plante sie die Rückkehr nach Berlin, da ihre Werke nach dem Kriege in Deutschland wieder publiziert wurden. Ihr Tod 1975 in Zürich verhinderte dieses Vorhaben.
Die Arbeiten Mascha Kalékos werden der sog. Neuen Sachlichkeit zugerechnet. Sie sind bei ihr auf besondere Weise durch Milieu, Verfolgung, Emigration und persönliche Schicksalsschläge beeinflusst. Dies kommt in ihrem Gedicht „Rezept“ sehr deutlich zum Ausdruck. Einerseits soll es uns Mut machen und fordert auf, Ängste und die Angst vor den Ängsten zu überwinden, dabei auch zu prüfen, welche materiellen Güter für uns wirklich wichtig sind. „Halte den Koffer bereit“ rät uns, auf wechselnde Situationen im Leben eingestellt zu sein und uns nicht auf schwankende Sicherheiten zu verlassen. Dies sind kluge Ratschläge auch für unser Leben, die zu verinnerlichen es sich lohnt.
Teile unseres Gedichts, wie die Strophen 3, 5 und 6, dürfen aber auch kritisch hinterfragt werden: Ist es wirklich wahr „Was kommen muss, kommt?“ Müssen wir dem „Leid still ins Gesicht sehen“, schicksalsergeben, weil es doch – wie das Glück – auch wieder vergehen wird? Diese Philosophie scheint noch einmal die wechselvollen bitteren Lebenserfahrungen der Dichterin zu spiegeln.
Wir wollen aber unsere Lebenspläne nicht zerreißen (Strophe 6) und auf ein Wunder hoffen – weil ja Alles schon vorbestimmt sei. Die Herausforderungen unserer Zeit erfordern Mut, Kraft und Optimismus. Wir glauben, bei aller gebotenen Bescheidenheit, dass wir erheblichen Einfluss auf unser persönliches Schicksal und auch auf das Wohl unserer Mitmenschen besitzen. Diesen Einfluss und die eigene Kraft gilt es zu nutzen.
Mascha Kalékos Gedicht ist zutiefst menschlich, anrührend und tröstlich auch. Als Rezept für das Leben, unter den heutigen Bedingungen, ist es aber nur in Teilen zu empfehlen. Die Sicht des Philosophen Friedrich Christoph Oetinger (1702-1782) mag uns da weiterhelfen:
Gott gebe mir die Gelassenheit – Dinge hinzunehmen – die ich nicht ändern kann, den Mut – Dinge zu ändern – die ich ändern kann – und die Weisheit – das Eine von dem Anderen zu unterscheiden.
Mascha Kaléko wurde 1907 in Galizien (ehemals Österreich/Ungarn) in einer deutschsprachigen, jüdischen Familie geboren. Sie verstarb 1975 in Zürich. Um den Pogromen im 1. Weltkrieg zu entgehen, übersiedelte ihre Mutter mit den Kindern 1914 nach Frankfurt/Main. Hier und ab 1916 in Marburg, ab 1918 in Berlin erlebte Mascha ihre Kindheit und Schulzeit. Obwohl sie eine gute Schülerin war, wurde ihr ein Studium verwehrt. Sie lernte einen Verwaltungsberuf und besuchte Abendkurse an der Uni Berlin in Philosophie und Psychologie. 1928 heiratete sie den jüdischen Philologen Aaron Kaléko, dessen Namen sie behielt, auch nach einer Scheidung und Wiederverheiratung mit dem Musikwissenschaftler Vinaver.
In Berlin der späten 20er Jahre fand sie Kontakt zur literarischen Avantgarde um Else Lasker-Schüler und Joachim Ringelnatz sowie auch zum Kabarett. Dort trat sie auf mit heiter-melancholischen Texten zur Lebenswelt des einfachen Berliner Milieus. Ab 1929 veröffentlichte sie Gedichtsammlungen, die auch in bekannten Berliner Zeitungen publiziert wurden. 1935 erhielt sie von der Nazi-Diktatur Schreibverbot und ihre Arbeiten als „undeutsch“ geächtet.
1936 kam ihr Sohn Evjatan Alexander zur Welt, der auf tragische Weise bereits 1968 in den USA verstarb. Um der Verfolgung durch den NS-Staat zu entgehen, emigrierte die Familie im Jahr 1938 in die USA. Dort verblieb sie bis 1957 und übersiedelte dann ihres Ehemannes zuliebe nach Jerusalem. Dort blieb die Dichterin fremd, sprachlich und kulturell isoliert und enttäuscht. Nach dem Tode ihres Mannes 1973 plante sie die Rückkehr nach Berlin, da ihre Werke nach dem Kriege in Deutschland wieder publiziert wurden. Ihr Tod 1975 in Zürich verhinderte dieses Vorhaben.
Die Arbeiten Mascha Kalékos werden der sog. Neuen Sachlichkeit zugerechnet. Sie sind bei ihr auf besondere Weise durch Milieu, Verfolgung, Emigration und persönliche Schicksalsschläge beeinflusst. Dies kommt in ihrem Gedicht „Rezept“ sehr deutlich zum Ausdruck. Einerseits soll es uns Mut machen und fordert auf, Ängste und die Angst vor den Ängsten zu überwinden, dabei auch zu prüfen, welche materiellen Güter für uns wirklich wichtig sind. „Halte den Koffer bereit“ rät uns, auf wechselnde Situationen im Leben eingestellt zu sein und uns nicht auf schwankende Sicherheiten zu verlassen. Dies sind kluge Ratschläge auch für unser Leben, die zu verinnerlichen es sich lohnt.
Teile unseres Gedichts, wie die Strophen 3, 5 und 6, dürfen aber auch kritisch hinterfragt werden: Ist es wirklich wahr „Was kommen muss, kommt?“ Müssen wir dem „Leid still ins Gesicht sehen“, schicksalsergeben, weil es doch – wie das Glück – auch wieder vergehen wird? Diese Philosophie scheint noch einmal die wechselvollen bitteren Lebenserfahrungen der Dichterin zu spiegeln.
Wir wollen aber unsere Lebenspläne nicht zerreißen (Strophe 6) und auf ein Wunder hoffen – weil ja Alles schon vorbestimmt sei. Die Herausforderungen unserer Zeit erfordern Mut, Kraft und Optimismus. Wir glauben, bei aller gebotenen Bescheidenheit, dass wir erheblichen Einfluss auf unser persönliches Schicksal und auch auf das Wohl unserer Mitmenschen besitzen. Diesen Einfluss und die eigene Kraft gilt es zu nutzen.
Mascha Kalékos Gedicht ist zutiefst menschlich, anrührend und tröstlich auch. Als Rezept für das Leben, unter den heutigen Bedingungen, ist es aber nur in Teilen zu empfehlen. Die Sicht des Philosophen Friedrich Christoph Oetinger (1702-1782) mag uns da weiterhelfen:
Gott gebe mir die Gelassenheit – Dinge hinzunehmen – die ich nicht ändern kann, den Mut – Dinge zu ändern – die ich ändern kann – und die Weisheit – das Eine von dem Anderen zu unterscheiden.
Mascha Kaléko
Rezept. (aus: Die paar leuchtenden Jahre)
Jage die Ängste fort
Und die Angst vor den Ängsten.
Für die paar Jahre
Wird wohl alles noch reichen.
Das Brot im Kasten
Und der Anzug im Schrank.
Sage nicht nein.
Es ist dir alles geliehen.
Lebe auf Zeit und sieh,
Wie wenig du brauchst.
Richte dich ein.
Und halte den Koffer bereit.
Es ist wahr, was sie sagen:
Was kommen muss, kommt.
Geh dem Leid nicht entgegen.
Und ist es da,
Sieh ihm still ins Gesicht.
Es ist vergänglich wie Glück.
Erwarte nichts.
Und hüte besorgt dein Geheimnis.
Auch der Bruder verrät,
Geht es um dich oder ihn.
Den eignen Schatten nimm
Zum Weggefährten.
Feg deine Stube wohl.
Und tausche den Gruß mit dem Nachbarn.
Flicke heiter den Zaun
Und auch die Glocke am Tor.
Die Wunde in Dir halte wach
Unter dem Dach der Einstweilen.
Zerreiß deine Pläne. Sei klug
Und halte dich an Wunder.
Sie sind lang schon verzeichnet
Im großen Plan.
Jage die Ängste fort – und die Angst vor den Ängsten.